Editorial aus Schiff&Hafen 05/2025: Kurswechsel mit Gegenwind

Kathrin Lau. Chefredakteurin
Die einen bezeichnen es als „historisch“, den anderen geht es nicht weit genug – wie so oft bei Entscheidungen, die von der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) in London getroffen werden. Die 83. Sitzung des Ausschusses für den Schutz der Meeresumwelt (Marine Environment Protection Committee – MEPC 83) war erneut mit Spannung erwartet worden, nicht zuletzt, was die Fortschreibung der Treibhausgasemissionen-Strategie betrifft. Und tatsächlich hat die IMO mit der nun beschlossenen Net-Zero-Rahmenregelung
Neuland betreten: Zum ersten Mal soll es im internationalen Seeverkehr nicht nur verbindliche Reduktionsziele, sondern auch einen globalen Kohlenstoffpreismechanismus geben. Kernstücke des Pakets sind ein verbindlicher Treibstoffstandard sowie ein wirtschaftliches Steuerungsinstrument. Zweiteres ist auch deshalb hervorzuheben, weil ein solches Instrument erstmals überhaupt in einem Industriebereich international zur Anwendung käme – die Schifffahrt also eine Vorreiterrolle einnehmen könnte. Doch während sich in London eine Mehrheit der IMO-Mitgliedstaaten (63 zu 16) zu diesem marktgestützten System bekannte, blieb ein zentraler Akteur – wenig überraschend – demonstrativ außen vor: die USA. Donald Trump, einmal mehr auf Konfrontationskurs mit multilateraler Klimapolitik, kündigte umgehend „Gegenmaßnahmen“ an. Dass sich die größte Wirtschaftsnation der Welt aus einer globalen Lösung zur Dekarbonisierung der Schifffahrt verabschiedet, ist dabei nicht nur klimapolitisch fahrlässig – es untergräbt auch die Wirksamkeit und Glaubwürdigkeit der IMO. Dabei könnte das beschlossene Maßnahmenpaket tatsächlich wegweisend sein: Es sind kluge Instrumente zur richtigen Zeit. Andererseits ist vieles noch unklar. Die konkrete Ausgestaltung ist in weiten Teilen in Leitlinien ausgelagert, über die erst noch verhandelt wird. Auch der Zeitplan bleibt vage: Formelle Verabschiedung im Oktober 2025, Inkrafttreten voraussichtlich 2027 – vielleicht aber auch erst 2028; bis dahin kann sich viel ändern, unter anderem die konkreten Zielmarken und Vorgaben betreffend. Klar ist: Der politische Wille zum Wandel ist da. Aber der regulatorische Unterbau wackelt noch. Für Reedereien, die jetzt Milliarden in alternative Antriebe investieren sollen, sind unklare Schwellenwerte und ein unsicherer Zeitplan ein massives Investitionshemmnis. Eine internationale Regulatorik zu beschließen und durchzusetzen, ist ein Kraftakt und nicht mit den bereits erreichten Maßnahmen auf EU-Ebene zu vergleichen. Ein Kraftakt gegen geopolitische Widerstände, soziokulturelle Diversitäten, nationale Egoismen und industriepolitische Bedenken.
Die Schifffahrt galt lange als „hard to abate“-Sektor, als schwer zu dekarbonisieren, und auch wenn die vereinbarten Maßnahmen hinter den Erwartungen vieler in der Branche zurückbleiben, sollte das nun Erreichte nicht kleingeredet, sondern als Motivation zum Weitermachen und Ärmel Hochkrempeln wahrgenommen werden – allem möglichen Gegenwind zum Trotz.