Editorial aus Schiff&Hafen 10/2021: Rückgrat und Achillesferse

Dr. Silke Sadowski, Chefredakteurin

Aktuell erleben wir ein seit Jahrzehnten ungewohntes Phänomen: Industrie und Bauwirtschaft klagen über Engpässe mit daraus resultierenden Preissteigerungen und langen Lieferzeiten, die auch wir als Konsumenten zu spüren bekommen. Es fehlen wichtige Rohstoffe und Bauteile – von Halbleitern und Chips über Kunststoffprodukte bis hin zu Holz und Gummi.

Die Gründe dafür sind vielfältig, sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite. Den coronabedingten Unterbrechungen der Logistikketten und Produktionsausfällen steht aktuell eine weltweit stark gestiegene Nachfrage nach Konsumgütern entgegen. Der Welthandel befindet sich auf einem kräftigen Expansionskurs, auf inzwischen höherem Niveau als vor der Pandemie. Ein wesentliches Bottleneck stellen dabei die Transportkapazitäten im Überseebereich, insbesondere in der Containerschifffahrt dar. Die Entwicklungen zeigen einmal mehr die zentrale systemrelevante Rolle der internationalen Seeschifffahrt und die Abhängigkeit der Lieferketten von einem reibungslosen Ablauf. Nach durch Überkapazitäten, aufgelegten Schiffen und kaum auskömmlichen Frachtraten gekennzeichneten Jahren eine mehr als willkommene Entwicklung – nicht nur für die Reedereien, sondern auch für Werften und Zulieferer. Denn die hohe Nachfrage an Transportkapazitäten lässt nicht nur die Frachtraten in lange ungewohnte Höhen schnellen, sie sorgt nach jahrelangem Stillstand auch für einen Auftragsboom an Schiffsneubaubestellungen.

Der internationale Branchenverband BIMCO (The Baltic and International Maritime Council) prognostiziert dementsprechend ein Wachstum der Weltflotte um 6,4 Prozent in den kommenden fünf Jahren und spricht mit Blick auf die bereits in diesem Jahr bei den Werften in Auftrag gegebene Tonnage mit einer Transportkapazität von 3,44 Millionen TEU von einem „Rekordhoch“.

Erfreulich ist dabei, dass auch die deutschen Reeder diesen Trend mitgestalten. So hat Hapag- Lloyd im Sommer kommuniziert, seine Flotte um weitere sechs 23 500 TEU-Containerschiffe aufzustocken.

Während auch die hiesigen Zulieferer von Containerschiffsaufträgen – die grundsätzlich in Asien platziert werden – profitieren, müssen Deutschlands Werften weiterhin auf Nischenmärkte setzen. Hier stehen insbesondere Fähren und große Yachten, aber auch Marineschiffe im Fokus. Basierend auf dem im Sommer vom Haushaltsausschuss des Bundestages freigegebenen Milliarden-Betrag für Beschaffungs- und Entwicklungsprojekte der Deutschen Marine konnten hier bereits mehrere wichtige Neubau- und Retrofitaufträge platziert werden.

Der jüngste Auftrag der Flensburger Schiffbau-Gesellschaft zum Bau einer RoRo-Fähre von SeaRoad ist ein aktuelles Beispiel, dass es nach wie vor gelingen kann, sich auch im internationalen Markt weiterhin erfolgreich zu positionieren. Nicht zuletzt bieten die aus zukünftigen Umwelt- und Klimavorschriften resultierenden Umbau- und Nachrüstaufträge den auf diesem Gebiet hervorragend aufgestellten deutschen Werften ein erhebliches Potenzial.

Eine Herausforderung für diese weitere erfolgreiche Entwicklung des deutschen maritimen Sektors stellt allerdings der zunehmende Fachkräftemangel dar. Vor diesem Hintergrund hat Schiff&Hafen das beiliegende jährliche Special „Talents for Maritime“ herausgegeben, das mit einer zusätzlichen Verbreitung an Berufsinformationszentren und Universitäten nun bereits in 5. Auflage über die Chancen und Ausbildungsmöglichkeiten in der maritimen Branche informiert.

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