Editorial aus Schiff&Hafen 5/2022: Prioritäten setzen, Kurs halten
Mit dem kürzlich vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) verfassten „Überblickspapier Osterpaket“ liegt dem Kabinett eine der größten energiepolitischen Novellen seit Jahrzehnten vor. Darin ist festgelegt worden, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien umfassend beschleunigt werden soll. Die Dringlichkeit könnte höher nicht sein; neben der sich zuspitzenden Klimakrise gilt das Hauptaugenmerk einer zügigen Unabhängigkeit von russischen Energieimporten.
Ein ambitioniertes Ziel: Im Jahr 2035 soll der Strom in Deutschland nahezu vollständig aus erneuerbaren Energien kommen. Bis dahin gibt es viel zu tun. Insbesondere aber gilt es aktuell, die kurzfristige autarke Energieversorgung sicherzustellen.
Vor diesem Hintergrund wird der Bau von LNG-Importterminals im Norden Deutschlands notwendigerweise wieder erörtert und verstärkt vorangetrieben. Diese würden der zügigen weiteren Diversifizierung der Bezugsquellen von Gas – neben Norwegen und den Niederlanden – dienen.
Die Diskussionen über den oder die passenden Standort(e) sind nicht neu. Pläne, LNG-Terminals in Brunsbüttel, Stade oder Wilhelmshaven zu errichten, gab es viele Jahre vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine; die Umsetzung schien jedoch weit entfernt, da es unter anderem an regulatorischen Rahmenbedingungen mangelte.
Nun soll und muss es schnell gehen, und Berichte über den Fortschritt bei der Planung und Finanzierung der Terminals bzw. den Einsatz von schwimmenden FSRUs (Floating Storage and Regasification Units), beispielsweise in Hamburg und Wilhelmshaven, sind an der Tagesordnung. Die erforderlichen Planungs- und Genehmigungsverfahren für den Bau der benötigten Infrastruktur sollen laut Ankündigung von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck beschleunigt bzw. synchronisiert werden.
In Wilhelmshaven könnte bereits Ende des Jahres eine schwimmende Anlage für die Anlandung von LNG zum Einsatz kommen; der erste feste Terminal an Land könnte aktuellen Einschätzungen zufolge dann ab 2025 ans Netz gehen.
Daran schließt sich zunächst konsequenterweise die Frage nach den Bezugsquellen und -kapazitäten von verflüssigtem Erdgas an. Da die großen Kontingente, etwa aus Katar, in langen Verträgen u.a. mit asiatischen Ländern gebunden sind, müsste Europa LNG in erster Linie zu Spotmarktpreisen einkaufen, was voraussichtlich zu weiteren signifikanten Teuerungsraten in der Energieversorgung führen wird.
Eine komplette Loslösung von russischen Gasimporten würde auf diesem Wege jedoch maximal mittelfristig zu erreichen sein, wenn gleichzeitig die Versorgungssicherheit nicht gefährdet werden darf. Entsprechend gibt es verschiedene Stimmen aus Politik und Wirtschaft, die sich gegen den Kohleausstieg bzw. die Abschaltung der drei verbliebenen Atomkraftwerke, die für Ende 2022 festgesetzt ist, aussprechen.
Müssen wir also umdenken und aufgrund des Krieges die Energiewende vertagen? Schwächt die Errichtung von fossiler Infrastruktur die Bemühungen, die Weichen auf komplette Klimaneutralität zu stellen? LNG ist als fossiler Energieträger, der weiterhin klimaschädliche Treibhausgase emittiert, bekanntermaßen kein Allheilmittel – weder als Brennstoff für die Schifffahrt noch für die Energieversorgung von Industrie und Haushalten. Daher kann und wird es nur für eine Übergangszeit eine Rolle spielen. Gaskraftwerke und die Infrastruktur müssen so gebaut werden, dass sie sukzessive auf CO2-neutrale Produkte wie Wasserstoff und dessen Derivate umgestellt werden können, sobald hiervon ausreichend zur Verfügung stehen. In Brunsbüttel und Wilhelmshaven wurde die Entstehung von Ammoniak-Importterminals bereits angekündigt.
Auch vor diesem Hintergrund setzt das „Osterpapier“ der Bundesregierung wichtige Signale. So wird u.a. festgehalten, dass der Offshore-Windenergie-Ausbau künftig im „überragenden öffentlichen Interesse“ stehen soll. Dies hat nicht nur symbolischen Wert, sondern auch konkrete rechtliche Konsequenzen, die auch hier die Genehmigung neuer Anlagen beschleunigen und vereinfachen sollen. Als wichtigem Lieferanten für grünen Wasserstoff und dem Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft ist dieser beschlossene weitere Ausbau der Offshore-Windenergie unerlässlich.
Der 24. Februar hat in Europa und der Welt auf mehreren Ebenen zu einem Umdenken geführt, politisch wie gesellschaftlich.
Das Vorhaben, in Deutschland zeitnah eine klimaneutrale Energiesouveränität zu schaffen, gab es schon vorher. Mit den jetzt festgelegten Parametern kann der Kurs nicht nur gehalten, sondern das Ziel eventuell sogar schneller erreicht werden.