Editorial aus Schiff&Hafen 6/2022: Lieferketten unter Druck

Kathrin Lau, Chefredakteurin

Spätestens die Blockade des Suezkanals im vergangenen Jahr hat der Gesellschaft die weltweite Vernetzung von Warenströmen und die damit verbundenen Abhängigkeiten noch einmal vergegenwärtigt. Durch den Krieg in der Ukraine haben sich die durch die Covid-19-Pandemie verursachten Probleme in den maritimen Lieferketten, bei der Überlastung der Häfen und der Crews weiter verschärft. Nicht zuletzt die anhaltenden strikten Maßnahmen in Chinas Hafenmetropole Shanghai führen zu einer äußerst angespannten Lage für die internationale Schifffahrt sowie die angeschlossene Hinterlandinfrastruktur. Daraus resultieren immense Verzögerungen und steigende Preise.

Experten gehen davon aus, dass eine Rückkehr zum Normalbetrieb im weltgrößten Hafen nach dem Lockdown noch Monate dauern könnte. Die internationalen Auswirkungen sind indes schwer abzuschätzen. Aufgrund der weiterhin knappen Schiffskapazitäten und hohen Energieaufwendungen ist jedoch kurzfristig nicht mit einer Entspannung der Kosten zu rechnen.

Gleichzeitig droht mit der Blockierung der Häfen in der Ukraine eine weltweite Ernährungskrise. Rund 25 Millionen Tonnen Getreide lagern in dem Land, das vor Kriegsausbruch einer der größten Weizenproduzenten der Welt gewesen ist; die Ausfuhr ist aufgrund des Krieges ins Stocken geraten. Der bislang übliche Transport über den Seeweg lässt sich nicht ohne Weiteres auf die Schiene verlegen – unterschiedliche Spurweiten von Eisenbahnschienen verhindern eine reibungslose Logistik. Und aufwendige Fahrten über den Landweg würden zu lange dauern.

Allein 50 Prozent des Weizens für das World Food-Programme kommen laut Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir aus der Ukraine; würden diese wegfallen bzw. Preise aufgrund der Verknappung stark ansteigen, wären die Folgen für die Bevölkerung in Ländern wie Niger, Mali oder Burkina Faso verheerend. Kurzfristige, zusätzliche Exporte, wie sie nun doch aus Indien erlaubt worden sind, werden voraussichtlich nur wenig Abhilfe schaffen können.

In Deutschland bleiben indes Versorgungssicherheit und Energieautonomie bei gleichbleibender Fokussierung auf den Klimaschutz im Mittelpunkt der politischen und sozioökonomischen Bemühungen. Die kurzfristig gecharterten Floating Storage and Regasification Units (FSRUs) aus Norwegen und Griechenland, die u.a. in Wilhelmshaven zum Einsatz kommen werden, sollen dafür sorgen, dass Ende des Jahres bereits das erste über den Seeweg importierte Gas in das deutsche Erdgasleitungsnetz eingespeist werden kann.

Diese aktuellen Entwicklungen verdeutlichen einmal mehr, wie unabdingbar freie und sichere Schiffsverkehre für die (lebensnotwendige) Versorgung sind. Gerade in Krisenzeiten werden derartige „Selbstverständlichkeiten“ besonders sichtbar.

Auf der anderen Seite beschert die hohe Nachfrage – in erster Linie nach Containerschiffen und Tankern – den Reedereien hohe Gewinne. Insbesondere in den USA geraten die großen Betreiber von Containerschiffen dabei derzeit aufgrund mutmaßlich unlauterer Geschäfte ins Visier der Behörden. Auch wenn ein erstes Urteil bereits gefallen ist, bleibt abzuwarten, ob es sich hierbei um eine ernstzunehmende Entwicklung handeln wird.

Obgleich Logistiker und Spediteure in der aktuellen Situation – bedingt durch die Pandemie und den Krieg – den vermeintlich größten Druck verspüren, finden alle Akteure in den unterschiedlichen Segmenten der maritimen Branche einen stark veränderten Markt vor. Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Erreichung der Klimaziele in der Schifffahrt trotz der akuten Widrigkeiten weiterhin im Fokus der Industrie stehen muss und dies auch tut.

Nach Angaben des britischen renommierten maritimen Ökonoms Prof. Dr. Martin Stopford, der kürzlich anlässlich der Vorauspressekonferenz zur diesjährigen SMM in Hamburg sprach, sei es allerdings fraglich, ob in den kommenden zehn Jahren überhaupt genügend grüner Brennstoff für eine maritime Energiewende zur Verfügung stehen würde. Angesichts der Kosten und Beschränkungen herkömmlicher emissionsfreier Brennstoffe rücke seiner Meinung nach die Wirtschaftlichkeit von Kernenergie wieder stärker in den Fokus.

Die Einschätzung der vielfältigen Optionen und die Bewältigung der damit verbundenen Komplexität in Bezug auf mögliche Antriebsarten, unterschiedliche Brennstoffe sowie Verfügbarkeiten und Anwendungsmöglichkeiten, wird auch weiterhin durchdachte und nachhaltige Konzepte erfordern – nicht zuletzt von der Reederschaft.

Teilen
Drucken

Kundenservice

Sie haben Fragen? Kontaktieren Sie uns gerne.

Kundenservice

Sie haben Fragen? Kontaktieren Sie uns gerne.

Nach oben