Editorial aus Schiff&Hafen 7-8/2023: Fortschritt ist gut

Kathrin Lau, Chefredakteurin

Perfection is the enemy of progress!”  Sagte einst Winston Churchill, und angesichts der aktuellen Entscheidungen bei der IMO scheint es angemessen, dieses Zitat wieder einmal zu bemühen.

Die Meinungen über den Ausgang der Verhandlungen des jüngst in London zusammengekommenen Umweltausschusses (MEPC) über die nun doch deutlich strengeren verbindlichen Klimaziele könnten nicht weiter auseinander gehen.

Begrüßt von der internationalen Politik, den Branchenverbänden und der IMO selbst, sehen Kritiker – insbesondere von Umwelt- und Naturschutzverbänden sowie einigen wissenschaftlichen Einrichtungen – in dem Beschluss eine vertane Chance. Die letzte Möglichkeit, so der Tenor, sich mit entsprechenden Regularien dem Temperaturziel von 1,5 Grad des Pariser Abkommens anzunähern, sei mit dem aktuellen Abkommen nicht genutzt worden.

Und das kann angesichts der sprunghaft voranschreitenden Erwärmung des Weltklimas und den daraus resultierenden Folgen mitnichten in Begeisterung resultieren.

Nun aber die Einigung der 175 Mitgliedsstaaten als unzureichend und damit auch als Misserfolg zu verstehen, wäre zu kurz gedacht und würde dem Geschäft und der Bedeutung der internationalen Seeschifffahrt nicht gerecht.

Zunächst einmal darf und kann der „Apparat“ der IMO und damit auch der des Umweltausschusses nicht mit einer wie in Deutschland vorherrschenden Legislative verglichen werden. Von den 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen sind immerhin über 90 Prozent in der IMO vertreten; mit all ihren politischen, kulturellen, klimatischen und sozio­ökonomischen Unterschieden. Es wäre vermessen, hier eine deutsche oder europäische Messlatte an die Entscheidungsfähigkeit anderer, zum Teil deutlich ärmerer, Länder anzulegen.

In der Vergangenheit wurde mehr als einmal deutlich, dass es mitunter mehr als ein Jahrzehnt dauern kann, bevor die bereits angenommenen Gesetzentwürfe tatsächlich auch verbindlich werden. Als Beispiel seien hier nur das Ballastwasserübereinkommen (2004 verabschiedet, 2017 in Kraft getreten) oder die Hongkong-Konvention (2009 verabschiedet, tritt 2025 in Kraft) genannt. Dieses Mal ging es deutlich schneller!

Der kleinste gemeinsame Nenner ist eben nicht immer das Optimum. Vertreter, die in London dabei waren, sprachen von zähen Verhandlungen; den nun erreichten Konsens hielten viele Experten gar für unwahrscheinlich.

Und obwohl die „2023 IMO Strategy on Reduction of GHG Emissions from Ships“ nicht speziell auf das 1,5-Grad-Ziel im Jahr 2050 ausgerichtet ist, legt sie deutlich ehrgeizigere Wegpunkte bis zur Mitte des Jahrhunderts fest. Damit ist das Ziel zumindest deutlicher in Reichweite als zuvor. „Fortschritt“, keine „Perfektion“.

Die Alternative wäre aber vermutlich nicht ein noch ambitionierterer Beschluss und damit einhergehend auch eine schwieriger zu kontrollierende Einhaltung gewesen, sondern ein Beibehalten der zuvor gültigen, deutlich schwächeren Vorgaben.

Das soll im Umkehrschluss nicht bedeuten, dass sich die internationale maritime Branche nicht auch weiterhin dringend darum bemühen muss, ihre Emissionen gemäß den Vorgaben – und wenn möglich, auch darüber hinaus – zu kontrollieren und zu reduzieren.

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