Zehn Jahre Seegerichtshof in Hamburg
Vor zehn Jahren haben die 21 Richter des Internationalen Seegerichtshofs zum ersten Mal ihre meerblauen Roben angezogen, seit zehn Jahren ist damit auch Hamburg Deutschlands erste «UN-Stadt». Wenn an diesem Freitag Vertreter von Bundesregierung, Hamburger Senat und Vereinten Nationen, Diplomaten und Seerechtsexperten zu einem Festakt in den noblen Hamburger Stadtteil Nienstedten kommen und das sonst fast leere Gerichtgebäude füllen, ist dort bereits seit zwei Jahren keine Verhandlung mehr entschieden worden.
Das bei seiner Errichtung umgerechnet knapp 63 Millionen Euro teure «weiße Schloss» - so der Hamburger Volksmund - hat eine Nutzfläche von 5200 Quadratmeter. Glasdächer sorgen für lichtdurchflutete Räume, große Fenster geben den Blick frei zur nahen Elbe, mit Schweizer Birnenholz verkleidete Wände verbreiten edles Flair. Der «Spiegel» meinte dazu: «Den Richtern des Seegerichtshofs fehlt es an nicht, außer an Fällen.»
In der Tat mussten die Juristen in dem von UN-Generalsekretär Kofi Annan einst als «zentraler Baustein der weltweiten Friedens- und Sicherheitsordnung» gepriesenen Tribunal in den vergangenen zehn Jahren nur 13 Entscheidungen fällen. Zwischen den Verhandlungen kommen die 20 Richter nur zwei Mal jährlich zu Arbeitssitzungen nach Hamburg, sonst residiert der Präsident Rüdiger Wolfrum mit wenigen Mitarbeitern allein an der Elbe. Am häufigsten ging es in dem Gericht bisher um die Freigabe von Schiffen - meist wegen der Fischerei in erweiterten Wirtschaftszonen festgesetzt. Singapur und Malaysia stritten um die Landgewinnung in einer Meerenge zwischen beiden Ländern, und Irland versuchte erfolglos den Ausbau der britischen Wiederaufbereitungsanlage Sellafield an der Irischen See zu verhindern. Kläger haben dabei die Wahl, ob sie nach Hamburg oder vor den Internationalen Gerichtshof nach Den Haag ziehen
Der Rechtsexperte der GAL in der Hamburger Bürgerschaft, Till Steffen, nennt es «mau», wie es bisher gelaufen ist. Zehn Jahre seien Zeit genug, um die Effizienz des Gerichtshofs zu beurteilen, meint Steffen und kommt zu dem Schluss: «Der Aufwand steht in keinem Verhältnis zum Ertrag». Der Hamburger Seerechtsexperte Rolf Herber urteilt gar: «Der Seegerichtshof ist eine Fehlgeburt, er ist zuständig für Dinge, die es nicht gibt.» Der Professor spielt damit auf den Tiefseebergbau an. Als viele Staaten noch auf die lukrative Ausbeutung von Bodenschätzen am Meeresgrund setzten, sei der Seegerichtshof auch geschaffen worden, um spezielles Knowhow für Regeln beim Meeresbergbau zu entwickeln. Aber: «kein Tiefseebergbau, keine Fälle».
Wolfrum findet die wiederholte Kritik wegen weniger Fälle «langsam ärgerlich». Natürlich fehle mit dem ausbleibenden Tiefseebergbau eine «ganze Palette» möglicher Verhandlungen, der Seegerichtshof sei aber kein «Gericht für Mietstreitigkeiten» und müsse nach anderen Maßstäben beurteilt werden. «Wir haben über die 13 Fälle hinaus gewirkt», betont Wolfrum. Allein durch die Existenz des Tribunals seinen Verhandlungen verhindert worden, hätte die Drohung mit dem «Gang nach Hamburg» Konfliktgegner zum Einlenken bewegt. Wolfrum spricht von «mindestens fünf bekannten Fällen», will mit Rücksicht auf die betroffenen Staaten aber keine Namen nennen.
Für Wolfrum war die Schaffung des Tribunals ein «Quantensprung» im internationalen Seerecht. Es sei eine «große Innovation», dass dort nicht nur Staaten sondern auch Organisationen und Privatpersonen klagen können. Der Gerichtspräsident beklagt, dass das «Potenzial des Gerichts in der Dritten Welt zu wenig bekannt» sei und will für Abhilfe sorgen. Auch mit einer 75-Seiten Broschüre - zunächst in englischer und französischer Sprache - die erklärt, wie man Verfahren vor dem Seegerichtshof einleitet. Bei Hamburger Reedern bietet Wolfrum seit Monaten die UN-Einrichtung zudem für Lösungen interner Streitigkeiten an: «Ich frage mich, warum Hamburger Reeder und Hamburger Charterer bei Streitfällen immer vor englische Schiedsgerichte gehen.»
Herber meint die Antwort zu wissen: «Jeder Anwalt, der seien Mandanten bei handelsrechtlichen Streitigkeiten den Gang vor den Seegerichtshof empfiehlt, würde eine Pflichtverletzung begehen.» Es fehle den Völkerrechtlern dort schlichtweg die Kompetenz für Handelssachen. Wolfrum weist die Kritik entschieden zurück: einige Richter in Nienstedten seien sehr wohl auch Experten für die Handelschiedsgerichtsbarkeit. Was bleibt: es ziehen auch weiterhin nur wenige vor den Internationalen Seegerichtshof. Im laufenden Jahr haben die Richter dort nichts mehr zu entscheiden und auch für 2007 ist noch kein Verfahren absehbar.